Freitag, 8. März 2019

"Genau genommen habe ich 32 Chefs"

Seit mittlerweile drei Jahren geht der langjährige Turbine-Potsdam-Trainer Bernd Schröder in der "Wohnen in Potsdam"-Gesprächsreihe „Schröder fragt jetzt mal nach“ Themen auf den Grund, die die Potsdamer bewegen. Diesmal traf er Alexander Hollensteiner, den Geschäftsführer der Kammerakademie Potsdam (kurz KAP), zum Interview. Mit ihm unterhielt sich Bernd Schröder über die Demokratie in der KAP, welche Konkurrenz zu anderen Orchestern besteht und was die KAP mit der Gartenstadt verbindet.

Herr Hollensteiner, was unterscheidet die Kammerakademie Potsdam von anderen Orchestern?

Das Besondere an der Kammerakademie Potsdam ist, dass das Orchester demokratisch organisiert ist. Kein Musiker ist hier im klassischen Sinne angestellt, alle sind freiberufliche Musiker. Das bedeutet, das Orchester hat sich selbst zusammengefunden, als eigene Entscheidung. Andere Orchester sind eher hierarchisch aufgebaut, die Musiker angestellt und der Orchesterleiter entscheidet: „Heute wird Wagner gespielt, morgen Mozart.“ In der Kammerakademie dagegen wird alles gemeinsam entschieden. Die Kollegen organisieren sich selbst und wählen auch meine Position, die des Geschäftsführers, sowie die des Chefdirigenten. Genau genommen habe ich 32 Chefs.

In Potsdam gibt es bekanntlich noch weitere Orchester. Kommt man sich da in die Quere?

Wir haben uns damals Kammerakademie genannt, weil wir schon mit dem Namen deutlich machen wollten, dass wir anders sind und auch mehr als ein „normales“ Orchester. Wir verstehen uns nicht nur als Musikproduzent, sondern generell als Kunstproduzent. Wir konzipieren interdisziplinäre Formate, etwa mit Bildender Kunst im Museum Barberini oder mit Literatur. Meines Wissens sind wir auch das einzige Orchester weltweit, das in Kooperation mit einem Theater Oper selbst veranstaltet. Die Kammerakademie hat eine eigene Marke. Wir stehen für Themen wie Demokratie, Gleichberechtigung und für allerhöchste Qualität. Das, was wir machen, wo wir spielen, macht uns aus und ist unser Alleinstellungsmerkmal. Zurück zu ihrer Frage: Bezüglich der anderen Orchester kann ich sagen, dass ich mich über jedes Orchester freue, dass in Potsdam existiert. Es gibt auch verschiedene Fußballvereine, sei es in Potsdam oder in Berlin. Jeder Verein hat seine Ausrichtung, seine Stärken und das ist gut so. Ich finde, meine Kollegen von den anderen Orchestern, wie Ud Joffe oder Knut Andreas, machen eine tolle Arbeit.
Bernd Schröder mit Alexander Hollensteiner (r.).
Foto: Carolin Brüstel

Sie haben in einem Interview mal gesagt: „Wir wollen an die Spitze!“ Wie weit ist die KAP davon entfernt?

Das Bild der Spitze, das ich immer vor Augen habe, ist vergleichbar mit Grönemeyers Zitat: „Stillstand ist der Tod.“ Wir müssen uns stetig verbessern. Aber diese Spitze ist nur virtuell, dort werden und wollen wir auch nicht ankommen. Vielmehr wollen wir immer weiterkommen, immer neue Dinge erstreben. Die Spitze steigt dabei ebenso immer weiter in die Höhe. Wir sind immer auf dem Weg und nie am Ziel.

Besonderes gesellschaftliches Engagement verbindet das Orchester mit der Gartenstadt Drewitz. Wie kam es dazu?

Das begann schon vor meiner Zeit und fing eigentlich damit an, dass sich meine Vorgängerin Frauke Roth und die Leiterin der Stadtteilschule, Elvira Eichelbaum, sehr gut verstanden haben. Auch heute sind sie noch befreundet. So hat sich – ganz unkompliziert – ergeben, dass Frauke Roth mit dem Orchester in die Schule kam, um gemeinsam Musik zu machen. Diese Kooperation fing vor zehn Jahren an, noch bevor es das Gartenstadtkonzept gab. Als wir begannen, im Stadtteil zu arbeiten, gab es noch nichts von dem, was heute in Drewitz zu sehen ist. Als die Idee der Gartenstadt geboren wurde, waren wir schon aktiv im Stadtteil mit kleinen Konzerten und Aufführungen. Über die Jahre wurde das weiterentwickelt bis zu dem, was wir heute „Musik schafft Perspektive“ nennen, eine Initiative, die bereits von Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters mit dem BKMSonderpreis „Kultur öffnet Welten“ ausgezeichnet wurde. Dieses Bildungsprogramm ist seit fünf Jahren, seit der Wiedereröffnung der Grundschule, an der Stadtteilschule installiert. Wichtig ist dabei auch, dass das Programm nicht nur den Stadtteil, sondern auch uns als Orchester verändert. Wenn man über eine so lange Zeit kulturelle Bildungsarbeit in Drewitz macht, beeinflusst das einen. Diese Arbeit ist zugleich extrem herausfordernd, teilweise frustrierend und aber letztendlich unglaublich bereichernd hinsichtlich der Erfahrung, die wir dort sammeln.

Die Verschiebung der Neueröffnung des Schloßtheaters von 2019 auf voraussichtlich 2020 erfordert auch für die Kammerakademie sicherlich eine Umplanung. 

Konkret davon betroffen ist die diesjährige Winteroper, die eigentlich die Wiedereröffnung des Schlosstheaters markieren sollte. Geplant war es, „Titus“ von Mozart aufzuführen. Gemeinsam haben wir nun jedoch mit den Kollegen des Hans Otto Theaters entschieden, die Winteroper in der Friedenskirche aufzuführen. Aber das ist nicht so einfach. Man kann kein weltliches Opernstück wie „Titus“ in dieser besonderen Kirche aufführen. Daher müssen wir nun komplett umplanen und dafür haben wir sehr wenig Zeit. Da ist man dann als Manager gefragt. In den nächsten Wochen wissen wir mehr.


aus: "Wohnen in Potsdam" (März 2019), Seite 16. Die Langfassung des Interviews ist unter www.propotsdam.de zu finden.