Mittwoch, 15. Oktober 2014

Christoph Hampe zu "5 Jahre Szenario-Workshop"

Am 10. Oktober wurde der 5. Jahrestag des Szenario-Workshops "Die Zukunft beginnt jetzt"  gefeiert. Im Rahmen der Veranstaltungen blickten Gäste wie Christoph Hampe von der Kammerakademie Potsdam noch einmal zurück und teilten ihre Erlebnisse und Erfahrungen in Drewitz.

"Guten Abend,
Christoph Hampe, links (Foto: Kammerakademie Potsdam)


ich möchte mich für die Einladung bedanken, heute hier bei Ihnen sein zu dürfen und der Anfrage, ein paar Worte an Sie zu richten, gerne nachkommen.

Ich bin Musiker der Kammerakademie Potsdam, dem Orchester der Landeshauptstadt. 
Die Kammerakademie verbindet seit dem Jahr 2008 eine partnerschaftliche Beziehung mit der Drewitzer Grundschule. In zahlreichen Projekten konnten in den letzten Jahren strukturbildende Programme kultureller Bildung aufgebaut und etabliert werden, z. B. mit dem, die jährlich stattfindende Winteroper der Kammerakademie begleitenden, Opernprojekt hier an der Grundschule.

Ich erinnere mich noch gut, wie es sich anfühlte, wenn man an einem Novembertag durch die Konrad-Wolf-Allee zur Schule fuhr, um mit den Kindern an einer szenischen Umsetzung von „Figaros Hochzeit“ zu arbeiten. Da wurde man in erster Linie von der Farbe Grau empfangen. Das änderte sich dann in der Schule. Die Kinder brachten Farbe ins Spiel und gaben zunächst ihrer Freude über die vermeintlich unterrichtsfreie Zeit lebhaft zum Ausdruck.
Doch bald stellte sich heraus, dass es auch hier um Arbeit ging, denn in kurzer Zeit sollte aus dem Verständnis des Opernstoffs heraus kleine Spielszenen entwickelt, Texte gelernt, Lieder gesungen, Choreographien einstudiert, Bühnenbilder gebaut und technische Probleme gelöst werden. Am Ende sollte ja das Arbeitsergebnis auf der Bühne präsentiert werden.

Die meisten Kinder hatten noch nie eine Oper gehört oder irgendwie eine engere Bindung zu klassischer Musik aufgebaut. Jeder musste seinen Platz in dem Stück erst mal suchen, und das war nicht immer einfach. Die Idee, dass der Techniker nicht weniger wichtig ist als der Protagonist, und dass wir nur in einer großen gemeinsamen Anstrengung unser ehrgeiziges Ziel erreichen könnten, machte uns zu einem starken Team. 
Über die Arbeit entstand eine starke Klassengemeinschaft, Lehrerinnen unterstützten unsere Arbeit in zahlreichen Extrastunden, der Hausmeister und Eltern halfen mit großem Einsatz, und die Kinder fanden ihren Platz im Stück und arbeiteten konzentriert an ihren Rollen.
Und am Schluss haben wir es geschafft, unser Stück auf die Bühne zu bringen, und wir hatten Erfolg und ein fröhliches Strahlen lag in den Kindergesichtern.

Ein kleiner Junge weinte vor Freude, als er mir bei unserer „Premierenfeier“ sagte, das sei der schönste Tag in seinem Leben gewesen. Erst am Tag der Aufführung erfuhr ich, dass dieser Junge, der besonders klein und zart war, häufig dunkle Schatten unter seinen Augen hatte und öfters träumend und abwesend wirkte, dass dieser Junge vor kurzer Zeit erst in ein Heim gezogen war und mangels Aufsichtspersonals um ein Haar nicht hätte bei unserer Aufführung dabei sein können. Dem Engagement seiner Lehrerin Frau Herrmann war es dann zu verdanken, dass er doch teilhaben konnte an unserer schönen Aufführung.
Es gab da noch mehr Kinder, deren Seelen verletzt waren, und die in ihren so jungen Jahren schon eine schwere Last trugen. Doch das Glück dieses kleinen Jungen veranschaulichte mir an diesem Abend in bewegender Weise, dass wir alle es geschafft hatten, in einer großen gemeinsamen Anstrengung die Welt dieser Kinder zu verändern. 
Und nicht nur die Welt der Kinder, sondern auch die eigene, denn auch meine Kollegen und ich haben so viel Freude und Dankbarkeit von den Kindern erhalten, und die Erfahrungen, die wir hier machten - und das ist, glaube ich, nicht zu viel gesagt - haben auch unsere Welt verändert haben.

In diesem alten Durchgangsraum, der die beiden Schultrakte miteinander verband und aus der Not heraus Aula genannt wurde, da also, wo wir mit den Kindern für unsere „Oper“ geprobt hatten, saßen wir vor fünf Jahren in einer bunten Runde zusammen, um über die Zukunft des Stadtteils Drewitz nachzudenken, mit einem Bürgerhaus in der Schule, umgeben von einer parkartigen Gartenstadt.
Als ich dann zum ersten Mal in die neu gestaltete Schule mit dem neuen Haus der Begegnung in ihrer Mitte kam, da blickte ich in stolze und leuchtende Kinderaugen und aus diesen Augen sprach eine große Dankbarkeit. Es war ein bewegender Moment für mich, wieder zu sehen, wie mit einer enormen gemeinsamen Anstrengung die Welt verändert werden kann.
Nicht nur die Schule, auch die Häuser haben freundliche Gesichter bekommen, Rosen blühen in einer Parklandschaft, wo früher grauer Asphalt das Bild beherrschte, Kinder bevölkern die Spielplätze und es sind einladende Orte der Begegnung entstanden, die, wie jeder sehen kann, angenommen werden - auch diese Welt hat sich verändert.

Viele Ziele konnten verwirklicht werden, neue Ziele müssen wieder formuliert werden! 

Gerade gestern saßen wir von der Kammerakademie in kleiner Runde zusammen, und überlegten, wie wir unser Engagement hier in Drewitz ausbauen und erweitern können. Während früher eher einzelne Musiker hier vor Ort tätig waren, haben wir heute die Möglichkeit, die neuen Räume mit dem ganzen Orchester zu nutzen. Heute haben wir hier geprobt, haben wieder die Türen geöffnet und den Kindern die Möglichkeit gegeben, unsere Arbeit kennenzulernen und ganz nah bei uns zu sein.
Die Selbstverständlichkeit, mit der wir uns hier begegnen können, gehört für mich zu den wertvollsten Errungenschaften dieses neuen Hauses.
Neben dem zu Hause der Kammerakademie im Nikolaisaal in Potsdams strahlender, historischer Mitte haben wir hier in Drewitz ein zweites zu Hause gefunden.

Wir möchten unsere Arbeit ausweiten und für alle Bewohner in Drewitz erreichbar sein, und ich finde, wir können aus dem Erreichten den Mut schöpfen, dass wir daran glauben können, durch gemeinsame Anstrengungen auch in Zukunft unsere Welt verändern zu können."