Seit Beginn des Jahres wird in der Rolle das gemeinschaftliche
Wohnen über Generationen hinweg erprobt. Initiator des Projekts sind die
ProPotsdam GmbH und die Fachhochschule Potsdam mit dem Team um Dr. Stefan
Thomas, Professor für Empirische Sozialforschung und Soziale Arbeit. Bernd
Schröder sprach mit ihm über die Möglichkeiten, gemeinschaftlich und
generationsübergreifend in einem Mietshaus zu wohnen.
Bernd Schröder: Herr Dr. Thomas, Sie sind Professor für
Empirische Sozialforschung und Soziale Arbeit an der Fachhochschule Potsdam und
befassen sich unter anderem mit der Erfassung sozialer Sachverhalte. Das klingt
sehr theoretisch. Was kann man sich darunter vorstellen?
Dr. Stefan Thomas: An der Fachhochschule Potsdam bieten wir Studiengänge
in den angewandten Wissenschaften an. Das heißt, es gibt im Studium immer einen
konkreten Bezug zur Praxis, ganz unabhängig vom Studienfach. Ob es nun
Architektur ist, Design oder, wie in meinem Fall, Soziale Arbeit. Das ist nicht
vergleichbar mit Psychologie, Politologie oder Sozialwissenschaften an einer
Universität.
Im Rahmen des Studiengangs Soziale Arbeit an der FH steht das
Alltagsleben im Mittelpunkt und die Probleme, die Menschen bewältigen müssen.
In meiner Arbeitsgruppe betreiben wir speziell angewandte, partizipative
Forschung, indem wir in die Welt rausgehen und dort alltägliche
Herausforderungen und Probleme von Menschen betrachten. Partizipative Forschung,
oder anders gesagt Bürgerwissenschaften, bedeutet, wir überlegen gemeinsam mit
den Menschen, welche Fragestellungen mit welchen Forschungsmethoden untersucht
werden sollen. Dabei möchte ich vor allem eins machen: Entwicklungsräume öffnen,
um gemeinsam über das Gegebene hinaus neue Möglichkeiten zu entwickeln.
Eines Ihrer Forschungsprojekte wird in der Gartenstadt
Drewitz gemeinsam mit der ProPotsdam durchgeführt. Öffnen Sie auch hier
Entwicklungsräume?
Ja, das tue aber nicht nur ich, sondern ein ganzes Team,
neben mir bestehend aus Dr. David Scheller, Dr. Tanja Ehmann und Susan Schröder.
In Drewitz haben wir gefragt, wie man als normaler Mieter in einem „Plattenbau“
gemeinschaftlich und generationsübergreifend wohnen kann.
An der Fachhochschule
oder im Drewitzer Begegnungszentrum oskar. trafen sich alle am Projekt
Beteiligten – Mieter, Vertreter der ProPotsdam, Wissenschaftler – und unterhielten
sich darüber, was wichtig für gemeinschaftliches Wohnen ist. Vor allem Räume
sind entscheidend für eine Gemeinschaft.
Zahlreiche Drewitzer sind in der DDR
groß geworden. Beim Thema gemeinschaftliches Wohnen erinnern sich viele
Bewohner an die Gemeinschaftsräume, die es in den Wohnhäusern gab, und an
Gemeinschaftsaktionen zur Gartenpflege. Das sei dann nach der Wende alles
weggebrochen. Ich würde mir wünschen, dass es gemeinschaftliche Räume und gemeinsame
Aktivitäten wieder gibt.
Konkret heißt das Projekt „Freude an Gemeinschaft“. Wie
kam es dazu? Ist die ProPotsdam auf Sie zugekommen oder waren Sie der
Initiator?
Wir sind auf die ProPotsdam zugegangen. Wir hatten die Idee,
ein Forschungsprojekt zum gemeinschaftlichen Mehrgenerationenwohnen zu machen.
Die erste Idee war es, zu schauen, wie das in klassischen, selbst organisierten
Mehrgenerationsprojekten funktioniert. Ausgangspunkt ist eine Gruppe, die gemeinschaftlich
bis ins hohe Alter wohnen möchte. Zusammen wird dann ein geeignetes Haus gesucht
und als Gemeinschaftseigentum erworben.
Warum ist es nicht bei dieser Idee geblieben?
Das Problem ist, dass sich Mehrgenerationenwohnen nur ein
kleiner Teil der Bevölkerung leisten kann, im Hinblick auf die steigenden
Immobilienpreise vielleicht bald gar keiner mehr. Daher wollten wir gemeinschaftliches
Wohnen dort betrachten, wo Eigentum keine Rolle spielt. Beim kommunalen
Wohnungsanbieter ProPotsdam sind wir mit dieser Idee auf großes Interesse gestoßen.
Dass man den Mut hatte, das auszuprobieren, hat mich schon sehr beeindruckt.
Zusammen
haben wir überlegt, in welchem Quartier, in welchen Gebäuden gemeinschaftliches
Wohnen umgesetzt werden kann. Dabei sind wir auf die sogenannte „Rolle“ in
Drewitz gekommen, deren Sanierung damals schon begonnen hatte. Der
Gebäudekomplex musste während der Sanierung leergezogen werden. Hier war die
Idee, bei der Findung und Auswahl von Bewohnern nicht nur Rückzieher, sprich
die ursprünglichen Mieter der „Rolle“, sondern auch neue Mieter miteinzubeziehen.
Ganz gleich ob Altdrewitzer, Potsdamer oder Zugezogener, wir wollten Menschen
finden, die alle gemeinschaftlich wohnen, nicht allein in ihrer Wohnung sitzen,
sondern sich engagieren wollen. Daher ist dies kein Angebot für alle Menschen.
Welche Erkenntnisse haben Sie bislang gewonnen?
Im Rahmen des Projektes lernten sowohl wir als auch die
ProPotsdam dazu. Wir unter anderem, dass es viele äußere Zwänge gibt, zum
Beispiel dass die Wohnungsgrundrisse auch noch in 20 Jahren vermietbar sein
müssen.
Andererseits haben wir der ProPotsdam vermitteln können, dass für eine
Gemeinschaft Räume wichtig sind. Wenn es keinen Raum gibt, hat Gemeinschaft keinen
Platz. Die ProPotsdam hat sich dann bereit erklärt, eine Wohnung im Erdgeschoss
als Gemeinschaftswohnung einzurichten. Für diesen Raum haben die Mieter die
Verantwortung. Hier kann man zusammenkommen und gemeinschaftlich etwas machen.
Das ist ganz wichtig für Gruppenprozesse.
Dass wir aktuell in einer sehr
individualisierten Gesellschaft leben, liegt meiner Meinung nach an den fehlenden
Räumen für Gemeinschaft. Die Sozialwelt wird immer mehr ökonomisch und
effizient durchgeplant.
Foto: Carolin Brüstel
Foto: Carolin Brüstel